Das Recht zur Lüge

Gespeichert von Gast (nicht überprüft) am Mo, 05/10/2015 - 12:46

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.

(nach Äsop hier und hier sehr ausführlich)

 

Diesen Satz habe ich als Kind wütend abgelehnt, weil ich ihn mißverstand. Ich dachte, es hieße „dem soll man nicht glauben“, was natürlich Unsinn ist. Wenn alle Menschen nach einmaliger Lüge für immer als Lügner abgestempelt wären, so gäbe es nur noch einen Handvoll Nicht-Lügner, vom Basar mal ganz abgesehen. Ich begriff nicht, dass es sinnvoll formuliert eine faktische Aussage und Vorhersage ist: „Durch Lügen wird das Vertrauen in deine Wahrhaftigkeit zerstört.“

Wann kann soll darf muß ich lügen, wann die Wahrheit sagen? Die Wahrheit in der Kommunikation oder die zwischenmenschliche Wahrheit ist ein hoher Wert im Umgang der Menschen untereinander. Wenn sich die Menschen fortwährend belügen und betrügen, dann erleiden nicht nur mindestens einige von ihnen Schaden, sondern es wird auch das Vertrauen untereinander zerrüttet. Vertrauen LINK ist aber eines der wichtigsten 'generalisierten Medien' LINK im Verkehr der Menschen untereinander. Ganz ohne Vertrauen funktioniert nichts in der Gesellschaft. Der Machthaber muß seinen Wächern vertrauen (das bekannte 'Quis custodiet ipsos / custodes?'), jeder Handel benötigt ein gewisses Maß an Vertrauen in die Qualität der Ware und den Wert des Geldes.

Eine Gesellschaft, in der ständig viel vorgetäuscht werden muß, kann auch ganz effektiv funktionieren, aber sie verschwendet erhebliche Energien mit den Versuchen, durch die Mauern der Lügen hindurch die Wahrheiten zu finden, die man zum Funktionieren braucht. Ebenso leidet die Würde. Niemand steht zu sich, alle verstecken sich hinter Seifenschaum. Der Mensch wird ersetzt durch seine Zerrbilder, die selbst- und die fremdgemachten. Den Wahrheitsmaßstab von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft erzwingt die Praxis, die Sicht auf den Menschen geht verloren.
 

Der Konflikt zwischen der Anforderung, die Wahrheit zu sagen und den Gründen, die das Lügen notwendig machen, kann zu sehr schwierigen und leidvollen Lebenssituationen führen.

Zum Glück gibt es einmal (!) eine einfache Formel, die in meinen Augen die meisten Fälle recht gut abdeckt:

Recht und ‚Pflicht‘, zu lügen = Machtgefälle - Vertrauen

Überall, wo ein großes Machtgefälle besteht, kann es für den Schwächeren* notwendig sein, die Machthaber zu belügen, um sich oder andere vor Unrecht zu schützen und zu verteidigen. Eine Ethik, die pauschal das Nicht-Lügen vertritt, macht sich mitschuldig bei der Unterdrückung durch die Tyrannen der Welt, seien es mittelalterliche Machthaber oder solche, die sich mit einer glatten und smarten Maske tarnen. Allgemein gesagt, ist jede ‚Tugendlehre‘ kontraproduktiv, wenn sie nicht die Umstände einbezieht. [ZIZAT TNH, DL? ua ] Wer demgegenüber pauschale Verhaltensregeln „der Tugend“ verteidigt, macht sich verdächtig, auf der Seite der Tyrannen zu stehen und ihre Ziele zu befördern.

Aber es gibt doch auch positive, gerechtfertigte Autoritäten? Hier kommt das Vertrauen ins Spiel. Das Vertrauen der Kinder zu ihren Eltern, das Vertrauen zu einem integren und guten Lehrer, Vorgesetzten, zu einem Staat, der Vertrauen verdient, erlaubt es mir, auch diesen die Wahrheit zu sagen, ohne dass ich für mich oder meine Schutzbefohlenen fürchten muß.

Darüber hinaus bleiben dann nur noch ein paar Spezialfälle, wie die Frage, ob man in einem Fall einem Todkranken* die Wahrheit über seinen Zustand sagen soll oder nicht.