Stufen der Annahme von Realität: Praktischer Realismus

Gespeichert von Gast (nicht überprüft) am Sa, 08/11/2014 - 19:13

 

 

 

In diesem Kapitel leite ich von den im vorigen Kapitel verwendeten philosophischen Grundpositionen über zu dem für mich zentralen Prinzip des praktischen Realismus, einer Pflanze, die in jeder Höhe des Stammes von Blüten umgeben ist.

 

 

Stufen der Annahme von Realität

 

Auf dieser Seite will ich die Anwendungen des Realitätsprinzips als Stufen vorstellen von sehr spekulativen Grundfragen der Erkenntnis bis hin zu den unmittelbarsten Gefühlen meiner Gegenwart.

Das zeigt die Brücke von meiner philosophischen Grundposition bis hin zum Begriff der Achtsamkeit und der unmittelbaren und/oder 'reinen' Wahrnehmung.

 

 

Die Realität der Welt anerkennen

Die Stellung zur Wirklichkeit oder Unwirklichkeit der Welt kann auf verschiedenen Ebenen betrachtet werden. Hier führe ich sie als Stufenfolge auf, die eine immer intensivere Bindung an die Welt und einlassen auf die Welt widerspiegeln. Du kannst jederzeit ein- und aussteigen, diese Form des realistischen Standpunktes mittragen oder nicht. Aber die Reihenfolge zeigt einen gewissen Zusammenhang der Stufen zueinander, nicht nur, aber vor allem, von der vorausgehenden zur nachfolgenden Stufe.


1. Die Realität der Welt in der Sicht der Erkenntnistheorie


<<PLUMIN nach oben in 'Erkenntnistheorie' verschieben >>


Meine oben im Kapitel "Erkenntnistheorie" LINK dargelegte Position in Bezug auf die Grundfrage der Erkenntnistheorie zeigt die menschliche Erkenntnis als eine fortschreitende, manchmal auch zurückschreitende, mehr oder weniger gelungene Annäherung an die 'richtige' Darstellung von Objekten der Erkenntnis. Dem 'richtig' liegt die Annahme zugrunde, dass es verschiedene Beschreibungen desselben Objektes geben kann, von denen einige nützliche Information bringen.  Eine weitere Annahme ist, dass es Kriterien gebe, mit denen man verschiedene Beschreibungen in Bezug auf ihren Nutzen für bessere Erkenntnis vergleichen und bewerten kann. Da die Einteilung von 'Etwas' in Objekte oder Dinge auch schon bereits Ergebnis des Erkenntnisprozesses ist, bleibt als das zu Erkennende eine 'ungeteilte', undifferenzierte 'Welt an sich', ein hypothetisches und sehr plausibles Ausgangsobjekt des Erkenntnisprozesses.

Nach dieser Sicht liegt also eine 'Welt an sich' der Erkenntnis zugrunde, wenn auch kein direkter Weg zu ihr führt, kein anderer Weg als über den normalen menschlichen Erkenntnisprozeß.

Erfolgreiche und immer weiter verbesserte Erkenntnis könnte demnach gesehen werden wie die Annäherung an eine Asymptote. Die Asymptote ist das 'Ding an sich', besser 'Welt an sich', weil ja schon die Unterteilung der Wirklichkeit in getrennte Objekte durch die menschliche Erkenntnis erfolgt.

Was hat das für Folgen für das praktische Leben? Eine Schlußfolgerung dieses erkenntnistheoretischen Grundstandpunktes ist, das Erkenntnisse kein chaotischer Haufen beliebiger Gedankenblitze sind, sondern sich auf ein Ziel hin orientieren, dass es sehr wohl sinnvoll sein kann, zu unterscheiden, ob zwei mal zwei vier oder fünf ist und ob der Apfel nach unten oder nach oben fällt.

Menschliche Erkenntnis ist immer unvollkommen, aber ihre Vervollkommnung erscheint, über lange Zeiträume und für die gesamte Menschheit gesehen, in eine bestimmten Richtung zu gehen, der der allgemein-menschlichen Praxis.
Was ist die allgemein-menschlichen Praxis? Menschliches Handeln in historischer Zeit, über die Jahrtausende hinweg, dient Zielen, die mehr oder weniger gemeinsam sind, mehr oder weniger sich ähneln, unter anderem, weil gleiche Bedürfnisse wie die nach Nahrung, Schutz, Freude befriedigt werden wollen. Mit Hilfe der Überlieferung lernen Menschen von dem, was vor ihnen andere Menschen erfahren, gewollt, gemeint haben. Aus den unzähligen Erkenntnissen und Handlungen der Menschen im Laufe der Jahrtausende erwächst ein Strom einer zusammenhängenden Erkenntnis, sehr zerissen, sehr lückenhaft, oft widersprüchlich aber im übrigen verläßlich. Es macht einen Unterschied, Krankheit, Katastrophe ?? xxx

Das gilt allerdings nur dort, wo das Erkenntnisobjekt auch einen 'materiellen Grund' hat, wo die Erkenntnis an sinnliche Erfahrung möglichst vieler Menschen anschließt — nicht: auf sie beschränkt ist. Über Fragen,  die von der sinnlichen Erfahrung losgelöst sind, nicht genug an sie gekoppelt sind, kann man auch noch in Jahrtausenden trefflich streiten, ohne jemals weiterzukommen.


Diese erkenntnistheoretische Grundsicht kann deine Haltung zu den nächsten Stufen beeinflussen. Dennoch sind diese alle relativ unabhängig voneinander.

 

 

2. Die Realität der Welt im Allgemeinen anerkennen
 
2.1 Die Realität der Welt als wahr anerkennen

Im Kapitel über Erkenntnistheorie bin ich auf die verschiedenen Varianten der Täuschungshypothese oder des Täuschungs-Standpunktes eingegangen.
Neben den grundsätzlichen philosophischen Möglichkeiten, die Welt zu sehen und die Methoden der Erkenntnis zu interpretieren, habe ich noch die Möglichkeit, eine grundsätzliche Haltung zu dieser Frage in meinem praktischen Leben einzunehmen.
Wenn auch ein konsequentes Als-Ob-Denken prinzipiell möglich ist, also hinter jeder Erscheinung immer die raffiniert verschachtelte Täuschung zu sehen, so macht sich doch im praktischen Leben niemand diese Mühe. Er wäre damit auch voll beschäftigt, und käme zu nichts Sinnvollem mehr.
Außer dieser durch die pure Fülle des Faktischen erzwungenen Anerkennung der Realität der Welt kann ich mich auch freiwillig dazu entschließen, den Sinnen, den Erkenntnismethoden, der Wissenschaft im allgemeinen zu trauen und Rot als Rot, Brot als Brot zu sehen und zu behandeln.

 

 

2.2 Die Realität in ihrer Unabhängigkeit anerkennen

Eine erkenntnistheoretische Grundhaltung, dass 'die Dinge', 'die Welt' außerhalb und unabhängig von der menschlichen Erkenntnis existieren, legt eine entsprechende Haltung in Bezug auf die allgemeine Sicht nahe, auf die allgemeine Wahrnehmungsweise der Außenwelt einschließlich unserer Innenwelt, wie sie unserer Erkenntnis als Objekt erscheint. Wer davon ausgeht, dass er* Dinge erkennt, die vor ihm schon gegeben sind, hat damit die Existenz dieser Dinge unabhängig von ihm wieder einmal anerkannt.
        
Das Umgekehrte gilt dagegen nicht unbedingt. Du kannst unterstellen, die ganze Welt sei ein Produkt deiner Einbildung und dennoch annehmen, sie existiere unabhängig von dir. Wie du das machst, ist deine Sache, dabei helfe ich dir nicht. Es entfällt lediglich die wichtigste Stütze dieser Überzeugung.
    
Wenn die Welt und ihre Entwicklung unabhängig von mir, von uns existiert, dann läßt sie sich auch nicht perfekt von uns, von mir aus kontrollieren und steuern. Das heißt, die Außenwelt einschließlich unserer Innenwelt, soweit sie uns wie ein Unabhängiges entgegentritt, wird immer eine Bedrohung bleiben, eine Gefahr für die Sicherheit der Welt, die wir uns eingerichtet haben.

Ein Leben, das sich darauf nicht einstellt, ist eher in Gefahr zu scheitern als eines, das die grundsätzliche Unsicherheit unseres Daseins voraussetzt und sich durch Handeln und Haltung auf Krisen vorbereitet.
    
In großen und kleinen Krisen des Lebens tritt uns die Souveränität der Außenwelt unmittelbar entgegen. Der Automotor, der mitten in der Wildnis streikt, läßt sich nicht durch Fluchen und nicht durch Bitten beschwören. Ruhiges und sachbezogenes Handeln kann helfen. Wo das seine Grenze hat und kein günstiger Zufall zu Hilfe kommt, können auch katastrophale Folgen durch keine innere Arbeit abgewendet werden. Die Außenwelt rollt ohne Rücksichtnahme über uns hinweg, wie ein Sturm, eine Flut, die hoffnungsvolle Menschenleben und die wertvollsten Kunstwerke gleichermaßen davonträgt.

 

 

2.3 Die Realität der Welt anerkennen, sie respektieren

Wie in dem Weltbild, das ich für mich im Kapitel über eine Ontologie angedeutet habe LINK, zeigt sich die Welt, in der wir leben, in ihrer unvorstellbaren, alle Kraft der Fantasie unendlich überschreitenden Größe, Ewigkeit, Vielfalt, Reichtum und Schönheit.

Vom Sternenhimmel bis zur Welt der kleinsten Lebewesen geht alles nach eigenen Gesetzen seinen Gang, vom Menschen inzwischen im wesentlichen und in den Grundlagen erforscht.

Der Eigengesetzlichkeit und - in großen Zusammenhängen gesehen - auch Selbstgenügsamkeit der Dinge gegenüber stehen die mehr oder weniger überlegten, geplanten Eingriffe und Handlungen des Menschen. Umgestaltungen der Natur mit Auswirkungen, die sich oft nicht überschauen lassen und wie in vielen ungewollten Experimenten der letzten Zeit mit der Zerstörung unserer Umwelt und der daran Schuldigen drohen.

Wenn wir die Welt, so wie sie ist, als ein Gegenüber zu uns begreifen, nicht nur als ein Werkzeug für uns, können wir sie respektieren und lieben. Jede einzelne Blume, jedes Insekt, jeder Grashalm bietet so viel Stoff zum Beschäftigen, dass du damit Stunden und Tage zubringen kannst. Der Kampf ums Dasein zwingt uns zwar zu unserem Schutz und zu unserer Ernährung zu Gewalt gegen Pflanzen, Tiere, Berge und Seen, aber dabei gibt es große Spielräume, wieviel Zerstörung unvermeidlich oder vermeidlich ist.

Hier unterscheide ich noch zwischen der praktischen Achtung durch Nichtzerstörung, In-Ruhe-Lassen einerseits und der kontemplativen Achtung. In der Löwin, die mich angreift, die ich abzuwehren gezwungen bin, muß ich nicht einfach einen feindlichen Roboter, eine Pest sehen, sondern kann sie noch als ein selbständiges und gleichberechtigtes Gegenüber, einen Partner in unserer Lebenswelt begreifen.
   

 

2.4 Die Realität der Welt begrüßen

Die Welt außer mir, die Welt, in der wir leben, das Andere, das nicht meinem Willen unterworfen ist — nicht nur, dass ich es respektieren kann, ich kann es auch begrüßen, es lieben und genießen.
GGF NOCH BEISTPIELE IN ABSTIMMUNG MIT LETZTEM ABSCHNITT

    
    
    
3. Die Realität der Welt in der Praxis anerkennen

 

3.1

Bis jetzt bin ich im wesentlichen noch auf einem betrachtenden Standpunkt stehengeblieben. Wie ich mich sehe in der Welt, die meine Umgebung ist und die Wechselwirkungen mit ihr wird aber noch viel mehr relevant, sobald ich gezwungen bin zu handeln, mir meine Nahrung und die auf mich zugeschnittene Umgebung zu schaffen.

Das heißt:

die Realität der Welt

  • anerkennen

         —  als wahr
         —  als unabhängig und nur begrenzt durch mich beherrschbar

  • und respektieren
  • und sogar begrüßen


Wie oben schon erwähnt, es hilft mir nicht, Dinge zu ignorieren, weder für kurze Zeit noch gar auf Dauer. Die Mauer ist da, gegen die ich renne, ob es mir nun gefällt oder nicht.

Um in Beruf und Wissenschaft, aber auch im Alltag und in sozialen Beziehungen erfolgreich zu sein, muß ich nicht nur genau hinschauen und unvoreingenommen aus der Praxis lernen, Praxis von mir und Anderen, sondern es hilft mir auch sehr viel weiter, mir den speziellen kritischen Blick zu bewahren, der mein eigenes Denken und Meinen überprüfen und zu einer Korrektur führen kann.

 

 

3.2 Die Realität der Welt für mich, in der Praxis, anerkennen

Noch eine Stufe weiter zugeschärft:

ganz speziell auf mich bezogen, die Wirklichkeit

  • anerkennen
  • respektieren
  • begrüßen


Nicht nur Andere werden älter, nein auch ich werde älter. Krankheiten, Katastrophen und Leid betreffen nicht nur Andere, nein, sie können auch mich erreichen. Glück, Freude, Chancen und Möglichkeiten sind nicht für 'die Anderen' ausschließlich reserviert, nein, auch ich kann daran teilhaben. Nicht nur Andere sterben, nein, auch ich werde sterben.    

Das wahrzunehmen, zu verdauen und vielleicht auch zu begrüßen ist alles andere als selbstverständlich.
 
 

4. Die Realität mit allen Sinnen wahrnehmen und diese Wahrnehmung anerkennen 

Die Wahrnehmung unserer Welt und der Umgang mit dieser Wahrnehmung schließt an unseren** Zentralbegriff der Achtsamkeit an bzw. überschneidet sich damit— wird sich noch zeigen.

Mit allen Sinnen in die Welt tauche ich in die Welt ein, bin ständig gefordert, versucht, mich einzulassen.

 

Dabei macht es für mich einen großen Unterschied, ob ich

  •  diese Eindrücke als (relativ) 'echt' und genau, wertvoll und tragend empfinde oder als schwankenden Grund trügerischer Verlockungen und sensorischer Fallen, die böse lebendige oder abstrakte Mächte mir stellen
  •  diese Wahrnehmung uneingeschränkt genießen darf als wahr und echt oder ständig mit einem schlechten Gewissen durch die Welt gehen muß, voller Angst, mich "weltlich" zu beflecken
  •  diese Wahrnehmung, das heißt, diese Welt, wie sie für mich erscheint und den Genuß davon begrüßen, bejahen darf oder ständig ... aber das hatten wir ja schon.

 

 


Weitere Folgerungen und Folgen einer positiven Einstellung zur Wirklichkeit


5. Das Leben für mich, das daraus folgt, begrüßen.


6. Glück und Freude existieren und sind möglich, auch — und gerade — auf der Grundlage dieser Realität.


7. Eine positive und oder produktive Haltung zu mir und in meinem Inneren ist möglich.


8. Handeln kann erfolgreich und sinnvoll sein, es ist nicht alles vergeblich.


9. Ressourcen zum Handeln: Ich habe Möglichkeiten zum Handeln, ich bin nicht machtlos.


10. Respekt lädt ein zu Mitgefühl mit

  • der Welt — relativ abstrakt
  • dem Planeten, Gaia, unserer Lebenswelt
  • den Lebewesen
  • den Tieren
  • den Menschen


11. Mitgefühl und Liebe

Mitgefühl lädt ein zur Liebe zu Allem, zur Welt im Ganzen — die beste, die wir je hatten —  
wie im Einzelnen zu vielen Dingen.

Die ich nicht liebe, kann ich doch verstehen. Die ich nicht verstehen kann, kann ich doch respektieren. Die ich nicht respektieren kann, nun ja, ich muß ihre Existenz anerkennen — nein, muß ich nicht, nein, ich gehe in meine Welt und die ist klein und fein, darin nichts gemein, nein, nein, alles nur, wie es mir beliebt und wohl und tut.

...    ——  Ich sage ja nur, unter rein praktischen Gesichtspunkten kann es nützlich sein, zwischen der Welt, wie ich sie gerne haben will und der Welt, wie ich sie vorfinde, zu unterscheiden ...